Blue Bossa von Kenny Dorham ist eine dieser typischen Session-Nummern: eingängig, leicht zu merken, gut in Anfänger-tauglichem Tempo zu spielen. Kaum ein Session-Abend, an dem nicht irgendjemand Blue Bossa vorschlägt. Also eine ziemlich abgedroschene Nummer, in den Top-Ten der meistgespielten Session-Standards ziemlich weit oben.
Letzte Woche war ich im Jazzkeller bei Al Foster, den das nicht weiter störte und das zweite Set mit Blue Bossa eröffnete. Allerdings spielte sein Bassist, Doug Weiss, nicht das übliche Klischee-Bossa-Pattern, sondern die Figur, die Bassist Butch Warren auf Joe Hendersons/Kenny Dorhams Original-Aufnahme („Page One“/Blue Note Records) einspielte.
Eigentlich schade, dass man diese Figur so selten zu hören bekommt. Vermutlich war dieses Pattern für Kenny Dorham ein integraler Teil seiner Komposition, der sich mit Klavier-Begleitung und Melodie perfekt zu einem komplexen Ganzen zusammenfügt. Schwierig zu spielen ist das Pattern eigentlich nicht – aber wenn man die Nummer schon ewig anders spielt, ist es gar nicht so einfach, „umzuschalten“ und nicht in alte Muster zurück zu fallen.
Interessantes Detail: Butch Warren macht ausgiebig Gebrauch von Flageolett-Tönen (1. Oktave G und D-Saite; siehe zweiter Takt). Das funktioniert so nur in der Original-Tonart. Da Blue Bossa aber ohnehin keine Sängerinnen-Nummer ist, dürfte man selten in die Verlegenheit kommen, es in einer anderen Tonart spielen zu müssen. Es gibt aber tatsächlich auch einen Liedtext zu Blue Bossa (bzw. It’s no time to be blue). Er stammt von einem anderen Kenny: Gitarrist Kenny Burrell. Ich hatte ihn zuvor noch nie singen gehört, aber hier tut er es.