,Die Situation in der Bundesrepublik‘, resigniert der Berliner Vibraphonist Wolfgang Schlüter, ,ist für Jazzmusiker im Augenblick unerträglich. Es ist kein Wunder, wenn die Musiker in andere Bereiche abwandern. Es bleibt ihnen keine andere Wahl.‘
,In Bezug auf den Jazz‘, klagte der Bremer Kritiker Siegfried Schmidt-Joos, ,ist Deutschland ein Entwicklungsland.‘
Diese Zitat stammen von Anfang der 1960er Jahre. Hoppla?! War das nicht die gute alte Zeit des Jazz? Wo der Jazzkeller jeden Abend proppenvoll war, und die Ami-Clubs rings um die Kasernen den Jazzmusikern nicht versiegende Auftrittsmöglichkeiten boten?
Ein Artikel aus dem SPIEGEL 34/1965 wirft ein ganz anderes Licht auf die Situation der deutschen Jazzmusiker in dieser Zeit:
Seit der Jazz-Hausse zwischen 1950 und 1960 wird diese Musik-Spezies in der Bundesrepublik immer weniger gern gehört. Kaum ein deutsches Jazz -Ensemble kann heute allein von den Konzert- und Nachtklub-Gagen oder ohne die Beihilfen so spendabler Mäzene wie Goethe-Institut und Rundfunksender existieren. Seit Mitte April das Berliner Etablissement Blue Note – das letzte außerhalb Deutschlands beachtete Jazzlokal – schloß, können deutsche Jazzmusiker nur noch im Rundfunk und in wenigen gezählten Konzerten kompromißlosen Jazz machen.
Viele heute lebende und arbeitende Jazzmusiker der jüngeren Generationen haben sich mit der Ansicht arrangiert, dass Jazz eben zu einer Nischenmusik geworden sei, für die es heute im Gegensatz zu früher nur noch wenig Auftrittsmöglichkeiten gibt. Ich glaube, dass diese Einschätzung falsch ist: Eine Vielzahl von engagierten und überwiegend ehrenamtlichen Jazz-Vereinen und -Initiativen sorgen heute als Veranstalter landauf-landab dafür, dass Jazz auch live gespielt werden kann – auch wenn viele Jazzlokale der Nachkriegs-Ära längst verschwunden sind. Aber aus vielen dieser Clubs wich der Jazz bereits in den 1960ern der Rock- und Beat-Musik, und verschwand dort nicht erst in den letzten Jahren. Die Möglichkeiten, als Jazzmusiker mit einem reinen Jazzprogramm aufzutreten sind heute möglicherweise sogar besser als vor 50 oder 60 Jahren, zur vermeintlichen Hochzeit des Jazz in Deutschland.
Ganz sicher verbessert haben sich jedoch die Ausbildungsmöglichkeiten: kaum eine Musikhochschule in Deutschland (von der in Frankfurt einmal abgesehen) verzichtet heute noch darauf, den Studenten nicht auch das Fach Jazz anzubieten. Sicherlich sichern heute die Hochschulen mit den dort Lehrenden zahlenmäßig mehr Jazzmusikern den Lebensunterhalt, als die Jazzclubs der Wirtschaftswunderjahre und der wirtschaftlichen Boom-Zeit des Jazz dazu jemals in der Lage waren.
Zu dieser verzerrten Wahrnehmung der Popularität des Jazz in dieser Zeit trug, so der SPIEGEL-Autor, auch die vergleichsweise hohe Medienpräsenz des Jazz in Funk und Fernsehen bei:
Trotz verstummter Instrumente und verstimmter Musiker ist, die Not-Tonlage der deutschen Jazzmusik noch nicht ins Bewußtsein ihrer Fans gedrungen. Denn die Rundfunksender überspielen das abklingende Interesse am Jazz mit noch mehr Jazz. Das fachkundiger denn je präsentierte Angebot – vorwiegend US-Jazz, der von etwa zwölf Prozent der Rundfunkhörer empfangen wird – enthält derzeit wöchentlich vier bis sechs große Sendungen – ohne jene Programmstunden, in denen Jazz und Jazzverwandtes neben Schlager- und Tanzmusik ausgestrahlt wird.
12 % Quote – davon können die wenigen Jazzsendungen, die es heute in den Randbereichen des Radioprogramms noch gibt, nur träumen.
Für den Autor des SPIEGEL-Artikels trug auch die Überhöhung des Jazz zur Kunst- bzw. E-Musik zu dieser Situation bei. Macht Jazz dem Publikum denn überhaupt noch Spaß? – Eine Frage, die auch heute noch diskutiert wird:
Die deutschen Jazz-Promoter sind an der Kluft zwischen Jazz und Show nicht unschuldig. Nach 1945 gaben sie jede Art von Jazz als Kunst aus (“Jazz und Lyrik”, “Jazz und Ballett”, “Jazz und alte Musik”, “Jazz und neue Musik”), und sie verdammten jeglichen Kommerzialismus. “Die Fans”, sagt Siegfried Schmidt-Joos, “vergaßen über dem Nachplappern von Stilzusammenhängen, Matrizennummern und Aufnahmedaten vielfach, daß Jazz auch Spaß macht.”Das Resultat war eine Spaltung des Jazzpublikums und der Musiker in extreme Oldtimer und nicht minder extreme Modernisten. Die Puristen, organisiert in einem überregionalen “Verein zur Pflege des New Orleans Jazz”, wollen selbst das Nadelgeräusch der alten Platten von King Oliver, Jelly Roll Morton getreu wiedergeben; die Avantgardisten bemühen sich, entweder die neuesten amerikanischen Entwicklungen eilfertig nachzuvollziehen oder Originalität um jeden Preis zu erzwingen.
Man hätte auch fragen können war früher mehr Klassik in Clubs. Die nannte man da noch Salons . Oder war früher mehr Britpop als heute. Temporas mutantur….. und das ist gut so. Immerhin sichrt das schrecklich banale Zeug, das von stereotypen Hutträgern mit Lindnerbart “gesungen” wird einigen Kontrabassisten ein Grundauskommen. Sie sehen nun einmal gut aus auf der Bühne. Vom Stress befreit die Miete zu zahlen und in der kommerziellen Aufgabe musikalisch nur mäßig gefordert bleit somit Raum für Kunst um der Kunst willen. Sessions auf denen nicht alles klappen muss. Clubgigs auf denen wenige aber kundige auch bereit sind den Versuch zu honorieren. Es gibt keinen Grund zu klagen. Es sollte die Freude darüber vorherschen, dass kein korumpierender Massentrend droht.