Am Sonntag hatte ich in Amsterdam die Gelegenheit, den Bassisten Jos Machtel vom Brüssel Jazz Orchestra kennenzulernen. Er verblüffte mich mit einer unkonventionellen Technik der rechten Hand: Jos benutzt nicht ausschließlich den Zeige- und Mittelfinger seiner rechten Hand für Pizzicato, sondern im Wechsel damit auch den Daumen – vor allem bei Soli. Das sieht zwar sehr ungewohnt aus, ist aber erstaunlich effektiv.
In der Zeit, bevor Bassisten wie Jimmie Blanton die heute vorherrschende Pizzicato-Technik populär machten, bei der der Zeige- und/oder Mittelfinger die Saite dadurch zupfen, dass sie gleichzeitig gezogen und herunter gedrückt wird, waren perkussivere Zupf- und Slap-Techniken state of the art. An diese Technik knüpft das Daumen-Pizzicato mit seinem punchy Sound an.
Soweit ich das nachverfolgen konnte, geht diese Technik auf den Bassisten Victor Kaihatu zurück. Kaihatu (erster Videoclip) wurde auf der molukkischen Insel Java geboren und lebte in den Niederlanden, wo er in Hilversum unterrichtete. Dort studierte in den 1980er Jahren auch Jos Machtel. Jos kam als Trompeten-Student nach Hilversum, wechselte aber nach zwei Jahren zum Bass, und übernahm die Daumen-Technik von Victor Kaihatu.
Bei dem zweiten Videoclip (mit Jos Machtel) kann man den Wechsel zwischen „konventionellem“ Jazz-Pizzicato mit Zeigefinger, und dem Daumen-Pizzicato sehr gut sehen (aber leider nicht ganz so gut hören, da das Schlagzeug zu laut aufgenommen wurde).
Victor Kaihatu gehörte zu den bekanntesten und vielseitigsten Bassisten der Niederlande. Er wurde Anfang der 196oer Jahre mit seinem Bruder Ferry als das Duo „The Emeralds“ bekannt, wo er sang und Gitarre spielte. Sie nahmen einige erfolgreiche Schallplatten mit Schlagermusik (damals als „Indo-Rock“ bezeichnet) auf.
Mitte der 1960er Jahre wandte er sich als Bassist dem Jazz zu. Er spielte Avantgarde-/Free-Jazz mit Nedley Elstak und Pierre Courbois und dem Willem Breuker Quartett. Mit dem Misha Mengelberg Quartett (mit Mengelberg, Piet Noordijk und Han Bennink) gewann er 1966 den Wessel-Ilcken-Preis. Außerdem tourte er mit der Band des deutschen Vibraphonisten Gunter Hampel.
Aber auch im Mainstream-Jazz und Bebop war Kaihatu zu Hause. Er nahm zwei Live-LPs mit Toots Thielemans auf und war Teil der Bands um Gitarrist Wim Overgaauw.
Nach seinem Studium am Konservatorium arbeitete er als Studiomusiker und für TV-Produktionen. Für einige Zeit lebte er auch in Chicago, wo er Nina Simone und Steve Horne begleitete. Nach der Gründung der Jazz-Fakultät am Konservatorium Hilversum gehörte er zur ersten Generation von Dozenten, die dort ihr Wissen und Können weitergaben. Er starb 2014.
(Interessanter Hintergrund zur Geschichte der Minderheit der Molukken in den Niederlanden auf Wikipedia nach dem Klick)
Grossartig hier einen Artikel über 2 der grossen niederländischen Bassisten zu lesen. Victor war und ist eine Legende in NL, tief verwurzelt im Bebop im Stile Oscar Pettifords. Auf dem Video sind zudem zu sehen und hören: Vincent Koenig an der Gitarre, Udo van Boden am Piano und einer der fantastischsten Tenoristen unserer Kontinents: Simon Rigter.
Jos Machtel ist ein sehr interessanter Bassist, der mit seiner individuellen Spielweise keine technischen Limitierungen zu haben scheint und doch immer extrem musikalisch spielt. Schön auch Jurai Stanic am Klavier! Fester Duo Partner von Ack van Rooijen.