Der Kontrabassist Martin Wind ist gebürtiger Flensburger, lebt und arbeitet aber seit Mitte der 1990er Jahre in New York, wo er auch an der Jazzabteilung der New York University unterrichtet. Für Auftritte und Aufnahmen kommt er aber regelmäßig zurück nach Deutschland – so auch dieses Jahr, trotz COVID.
Die ansonsten an Auftritten etwas ärmere Zeit nutzt(e) Martin unter anderem, um mich bei der Übersetzung meines Kontrabass-Buches ins Englische zu unterstützen (die Veröffentlichung der englischen Version sowie der zweiten deutschen Auflage sind für Ende 2020/Anfang 2021 geplant). Für diesen Kontrabassblog bat ich ihn, meinen Interview-Fragebogen auszufüllen …
Bevor er am 1.1. – rechtzeitig zu den Wahlen – wieder in die USA zurückkehrt, stehen folgende Konzerte auf dem Tourplan:
Ulf Meyer/Martin Wind Quartet feat. Billy Test (piano) und Heinz Lichius (drums, als Ersatz für Alex Riel, der nicht aus Kopenhagen weg kommt wegen COVID)
21.10. Flensburg, Robbe & Berking Werfthalle
22.10. Neumünster, Stadttheater
23.10. Husum, Jazzclub Englischer Bahnhof
24.10. Plön, Altes Schwimmbad im Schloss
25.10. Flensburg, Robbe & Berking Werfthalle, Zusatzkonzert (17 Uhr)
Danach ist Martin Wind in Berlin und nimmt zusammen mit Peter Weniger (tenor sax) und Jonas Burgwinkel (drums) eine Trio-CD auf.
31.10. Matinee-Vorstellung (16:30 Uhr) im A Trane Jazzclub zusammen mit der Schauspielerin Katharina Pütter in dem Programm New York, New York – eine Stadt und ihre Neurotiker (mit Kurzgeschichten von u.a. Dorothy Parker und Woody Allen; mit Solobass-Versionen von Kompositionen von Henry Mancini, Duke Ellington und Miles Davis).
Welche Platte hörte du gerade?
Sergie Prokofiev’s 5. Sinfonie in einer Aufnahme mit den Berliner Philharmonikern unter Herbert von Karajan.
Welche(n) Bassisten hörst Du am liebsten?
Da gibt es eine ganze Liste von Favoriten: Ray Brown und Ron Carter als meine beiden Haupteinflüsse; dann zwei grosse Melodiker: Marc Johnson und der leider gerade verstorbene Gary Peacock, aber auch Paul Chambers, Charlie Haden oder mein Mentor John Clayton. Von der jüngeren Generation gefallen wir u.a. Peter Washington, Larry Grenadier, Scott Colley und Christian McBride wahnsinnig gut.
Welcher Bassist hat Dich am meisten beeinflusst?
Mein allererster wichtiger Einfluss war der grossartige Dänische Bassist Niels Henning Ørsted Petersen, den ich als 17 jähriger auf seinem Duo Album “The Viking” zusammen mit dem Gitarristen Philip Catherine kennenlernte. Wie schon erwähnt haben Ray Brown und Ron Carter dann aber wohl den grössten Einfluss auf mein Spiel ausgeübt. Extrem wichtig und prägend war auch mein Studium mit Wolfgang Güttler – er hat mir beigebracht, wie man das Instrument wirklich spielt und zum klingen bringt. Auch habe ich von ihm gelernt, was es bedeutet, ein selbständig denkender und agierender Künstler zu sein, der eigene Lösungen und Interpretationen erforscht und findet.
Welche Platte würdest Du mit auf eine einsame Insel nehmen?
Auch da gibt es diverse Kandidaten:
1.) Miles Davis’ Townhall Concert 1964 (Four & My Funny Valentine)
2.) Keith Jarrett Trio: Still Live
3.) & 4.) Pat Metheny: Secret Story & Still Live Talking
5.) Lars Danielsson: Liberare Me
6.) Sergei Prokofiev: Romeo und Julia
7.) Oscar Peterson Trio meets Ben Webster
8.) NHØP & Philip Catherine: The Viking
9.) Stan Getz: Anniversary
10.) Gustav Mahler’s 2. Sinfonie
Wer ist Dein Lieblingskomponist?
Wenn ich nur einen nennen dürfte – Johann Sebastian Bach. Ansonsten auch noch Beethoven, Brahms, Mahler, Prokofiev, Shostakovich, Tchaikovsky, Stravinsky, Copeland, Arvo Pärt; im Jazz: Duke Ellington, Horace Silver, Thelonious Monk, Pat Metheny, Thad Jones, Jim McNeely, Cole Porter, Benny Golson
Was übst Du gerade auf dem Bass?
Ich über immer Tonleitern, mit Vorliebe die chromatische in zwei Oktaven auf der leeren G Saite beginnend; im Moment beschäftige ich mich gezielt mit übermässigen Akkordbrechungen und diversen Solostücken für Violine von J.S. Bach
Corona-Sonderfrage: gehörst du zu den Musikern, die nun mehr üben, weil sie durch ausgefallene Gigs mehr Zeit dazu haben – oder zu denen, die aufgrund weniger Gigs nun auch weniger üben?
Eine berechtigte und gute Frage! Normalerweise sind meine Übeaktivitäten immer bezogen auf bevorstehende Konzerte und/oder Aufnahmen; ich habe es in den letzten Monate des Lockdowns genossen, einfach mal wieder “nur” für mich zu üben. Ausserdem habe ich wieder versucht, mehr zu komponieren und für mein Bass Ensemble an der Hofstra University zu arrangieren.
Wie bist Du zum Bassspielen gekommen?
Als 12jähriger begann ich, Gitarre zu spielen, aber irgendwie hat es nie richtig geklickt. Mit 15 wurde ich von meinem Musiklehrer angesprochen, ob ich nicht Lust hätte, in der Schulbigband E-Bass zu spielen. Ich begann, bei einem Bassisten aus dem Flensburger Sinfonieorchester Unterricht zu nehmen, und mich mit dem Notenspiel zu beschäftigen. Mein Lehrer versuchte dann zunehmend, mich dazu zu bewegen, ein “richtiges” Instrument zu lernen. Auch gab es innerhalb der Bigband ein Trio aus Piano, Drums und Baritonsaxophon, die nach einem Kontrabassisten suchten – so kam ich dann eher schleichend mit 17 zum Kontrabass. Innerhalb von 3 Monaten spielte ich ihn dann sowohl in der Bigband, als auch im Schulorchester.
Erinnerst Du Dich noch an Dein erstes Instrument? Und Deinen ersten Bass?
Mein erster Bass ist ein altes deutsches Instrument, welches sich immer noch in meinem Besitz befindet! Das Instrument gehörte zunächst dem Alten Gymnasium in Flensburg; als bei einem Schulkonzert der Hals brach entschied die Versicherung, der Schule statt der Reparatur ein neues Instrument zu finanzieren. Ich habe dann damals das alte Instrument von der Schule erworben und bei einem Geigenbauer reparieren lassen. Es war eine wunderbare Fügung – mit diesem Bass habe ich mein klassisches Studium an der MHS Köln bestritten, u. a. das Dragonetti Solokonzert mit Orchester gespielt und diverse Länder bereist; auch ist es auf den meisten meiner Jazzaufnahmen zu hören. Seitdem ich vor ca. drei Jahren einen neuen Bass von Anton Schnitzer gebaut bekommen habe, benutze ich meinen alten deutschen Bass vornehmlich für Filmmusik, wie z.B. den Aufnahmen für den letzten Will Smith film “Gemini Man”.
Welches war dein bisher wichtigstes Konzert (oder Plattenaufnahme)?
Ein unglaublich wichtiges Konzert für mich war ein Triogig mit meinem alten Freund aus Bujazzo Tagen, dem ehemaligen WDR Pianisten Frank Chastenier und dem grandiosen Schlagzeuger Jeff Hamilton in Köln. Ich war um die 22 Jahre alt und hatte noch nie mit so einem etablierten und erfahrenen Drummer gespielt. Ich konnte endlich so spielen, wie es sich für mich immer richtig angefühlt hatte…irgendwann drehte Jeff sich zu mir um und sagte: “…yeah, Ray!”. Es gab dann so viele Highlights, wie z.B. meine Triokonzerte mit Pat Metheny 2002 und 2017; die “Turn Out the Stars” Konzerte mit meinem Quartet und dem Orchestra Filarmonica Marchigiana in Italien, wo ich erstmals für Orchester geschrieben habe. Und dann 2018 die Premiere meines Konzerts für Kontrabass und Orchester “Legacy”, aufgeführt in Flensburg mit dem Orchester des Landestheaters Schleswig-Holstein – ganz grosses Kino! Unglaublich auch die Konzerte mit dem Orchester des Schleswig-Holstein Musik Festivals: 2. Mahler mit Christa Ludwig und Christoph Eschenbach, Berg Violinkonzert mit Guidon Kremer, Prokovief’s Romeo und Julia mit Rostropovich…und dann die ganzen Konzerte im Rahmen des Jazzbaltica Festivals mit Musikern wie Hank Jones, Don Friedman, Benny Golson, Lee Konitz, Cedar Walton, Joe Lovano und so vielen anderen. Auch werde ich nie meinen ersten Auftritt im legendären Jazzclub “Village Vanguard” hier in NYC vergessen: es war mein erster Gig mit dem Vanguard Jazz Orchestra (ehemals Thad Jones/Mel Lewis), und ich war schon sehr früh im Club, um meinen Amp und meinen Bass (DEN alten deutschen!) in Position zu bringen. Als ich dann in diesem historischen Kellergewölbe meinen ersten Ton (offene A Saite) gespielt habe, wäre ich fast umgekippt: noch nie hatte mein Bass so unglaublich fett und warm und trotzdem klar geklungen! Beim Gig saß dann Dennis Irwin, der damalige reguläre Bassist der Band am Tresen und hörte sich beide Sets an – er hatte sich das Handgelenk verstaut und konnte daher selbst nicht spielen. Jim McNeely spielte an dem Abend Klavier, John Riley Schlagzeug und Dick Oatts Lead Alto … welch ein Abend.
Hast Du einen Lieblings-Jazzstandard?
Seit Jahren beginnt jedes Konzert meines Quartets mit dem Tune “Gone with the Wind” – übrigens auch der Titel meiner ersten CD von 1993 im Trio mit Pianist Bill Mays und Drummer Keith Copeland. Aber es gibt noch so viele andere grossartige Standards..
Welche Eigenschaft ist für einen Bassisten am wichtigsten?
Ich sage meinen Studenten immer, daß Klang und Feel, bzw. Groove die beiden wichtigsten Eigenschaften sind. Ansonsten geht es für mich immer darum, die anderen Bandmitglieder so gut wie möglich spielen und klingen zu lassen – das ist meine Hauptaufgabe als Bassist jedes Ensembles.
Was hoffst Du Deinen Schülern beibringen zu können?
Siehe letzte Antwort; ansonsten versuche ich meine Schüler so vielseitig auszubilden, daß sie sich auf professionellem Niveau behaupten können. Dazu gehören die schon erwähnten Eigenschaften Klang und Feel, bzw. Groove, aber auch Intonation, Vokabular, Notenspiel, Bogenspiel, etc.
Was für ein Instrument spielst Du (Bass, Saiten, ggfs. Tonabnehmer)?
Wie schon erwähnt spiele ich seit ca. 3 Jahren einen Bass von dem amerikanischen Bauer Arnold Schnitzer, den er als letzten “New York Bass” vor seinem Umzug (und Semi Retirement) nach New Mexico gebaut hat. Ich spiele seit mehreren Jahren die Hybrid Saiten von D’Addario und habe vor zwei Jahren das wunderbare “Nadine” Mikrophon der Firma “Trumpet Ear Labs” für mich entdeckt – der Hammer! Weiterhin spiele ich seit Jahren die Amps der Firma “Acoustic Image” und den “Lifeline” Pick-up von David Gage.
Hast Du Deinem Bass einen Kosenamen gegeben?
Nein!
Martin Winds jüngste CD erschien im August auf Laika Records:
Martin Wind, Philip Catherine, Ack Van Rooyen – „White Noise“