Vor einigen Wochen brachte der Berliner (und Ex-Frankfurter 😉 Bassist David Hagen einen Bass zu mir in die Basswerkstatt, dessen Herkunft und Geschichte recht interessant ist: ein Sperrholzbass von H.N. White aus Cleveland, Ohio. „Buy American Made Instruments. Increase employment. Reduce relief rolls and thereby reduce your taxes. American Made instruments are better instruments . . . Buy American Made instruments and receive more for your money“ – so warb der eigentlich auf Blasinstrumente spezialisierte Hersteller H.N. White, für seine „American Standard“-Kontrabässe, die Mitte der 1930er auf den Markt kam.
Der Vorbesitzer hat zu dem Bass folgende Informationen recherchiert:
Bei diesem American Standard handelt es sich um einen der ersten amerikanischen Sperrholzbässe überhaupt. Bei dem Instrument aus dem Hause H. N. White handelt es sich um ein wirklich seltenes, sogenanntes Cut Label-Exemplar, das zwischen dem allerersten Modell mit der Birnenform/Glockenschulter-Modell und der bekannteren American Standard-Form, die nach dem Krieg bis zum Produktionsende gebaut wurden. Bei den Cut Label-Modellen war man sich bei H. N. White hausintern wohl nicht ganz über die endgültige Form des Basses einig, deshalb wurden bei den bereits eingeklebten Zetteln der Teil mit dem Firmennamen wieder entfernt, nur die Seriennummer blieb stehen. Diese Bässe wurden um 1936/37 hergestellt und haben keine Außenreifchen. Für ihre Größe sind sie ungewöhnlich leicht, und man sagt ihnen einen voluminösen Klang nach – dem kann ich nur zustimmen!
(An dieser Stelle vielen Dank an meine US-Kollegen und Bass-Spezialisten Wendy “Molly Kay” und James Condino von Kaybassrepair, die mir die Informationen zum Cut Label bestätigt haben.)Es handelt sich um den ehemaligen Haus-Bass des Hotel Lincoln in New York. Dieser Bass wurde u. a. von Morris Rayman (von dessen Neffen ich den Bass erwarb) mit Jan Savitt & His Top Hatters gespielt. Zu dieser Zeit spielten auch andere Bassisten auf diesem Instrument, da der Blue Room des Hotels für wöchentliche CBS-Radioshows genutzt wurde. Neben der Bühne waren ein Flügel, Schlagzeug und eben dieser Bass fester Bestandteil der Hotel-Ausstattung. Orchester wie das von Artie Shaw und Benny Goodman (auch Harry Goodman spielte auf diesem American Standard) wechselten sich im Blue Room des Hotel Lincoln ab. Der bekannteste Bassist, der diesen Bass regelmäßig gespielt hat, war sicherlich Sid Weiss mit dem Artie Shaw Orchestra (mit Buddy Rich an den Drums). Weiss spielte später auch mit Tommy Dorsey, Benny Goodman und Charlie Barnet.
Auf Youtube findet man zwei Aufnahmen, auf denen mutmaßlich eben dieses Instrument zu hören ist:
“Ring Dem Bells” (1939) Jan Savitt and His Top Hatters live from The Blue Room NY
Artie Shaw and his Orchestra, NBC Broadcast of Dec. 6, 1938 / live from The Blue Room NY
Leider ist die bewegte Geschichte nicht spurlos an dem Instrument vorbei gegangen. Der originale Lack wurde bereits vor längerer Zeit abgeschliffen. Der Halsklotz war gerissen, gedübelt, und der wackelnde Hals mehrfach neu eingesetzt worden. Die Schwalbenschwanz-Verbindung, wie sie auch für andere amerikanische Sperrholzbässe typisch ist, ist leider nicht sehr reparaturfreundlich – und in einem derart morschen Zustand wie hier erst recht nicht. End of Life. Der alte Hals und das Griffbrett waren ziemlich „verbastelt“ und für Davids Spielgewohnheit viel zu schmal und zierlich, und so war rasch klar: ein neuer Hals soll her. Der morsche obere Teil des Oberklotzes, der einmal Teil der weibliche Teil Schwalbenschwanzverbindung war, wurde entfernt, und der neue Hals etwas tiefer und ganz klassisch wie bei einem europäischen Kontrabass in den Korpus eingesetzt. Dabei wurde auch die (D-) Mensur auf die gewünschten 106 cm gebracht. Damit später auch alles passt, muss man sich für die sorgfältige Vermaßung dieses Umbaus etwas Zeit nehmen. Der neue Hals wurde dann mit einer stabilen Schraubverbindung versehen, damit der Bass mit abnehmbarer Hals als Reisebass benutzt werden kann. Bei dieser (inzwischen vielfach erprobten) Schraubverbindung setze ich von innen einen Gewindeeinsatz aus Stahl in den Oberklotz – dank Spezialwerkzeug muss dafür der Korpus nicht geöffnet werden, die Montage erfolgt durch das Stachelloch.
Der Bass wurde mit Darmsaiten (G und D blank, A und E umsponnen) eingerichtet. David Hagen setzt den Bass im Jazz sowie für Theatermusik und World Music ein. Er spielt den Bass in einer Bigband und in seinen Swing- und Tango-Bands vor allem unverstärkt. Falls eine Verstärkung nötig wird, hat der Bass einen Full Circle-Pickup an Bord. Die Stegschrauben waren ohnehin nötig geworden, um den bisherigen Steg weiter benutzen zu können. Amerikanische Sperrholzbässe haben im Orginalzustand meistens einen (zu) flachen Halswinkel und dadurch einen sehr niedrigen Steg. Der alte Hals war mehrfach neu eingesetzt worden, dabei war der Hals-Überstand zuletzt so groß, dass sich eine für das Instrument ungünstig hohe Steghöhe ergab. Die Form des Stegmodells ließ aber nur noch in Stegbeinen Raum für Anpassungen, wodurch die Stegschrauben ohnehin nötig wurden.