Der Sommer ist auch immer die Zeit der Open-Air-Jazzfestivals. In manchen Städten haben diese Jazzfestivals schon eine recht lange Tradition. Und allzu oft ist dann irgendwann aber die Luft raus: die Festivals heißen dann zwar noch „Jazzfestival“, aber der Jazz spielt nur noch eine Nebenrolle im Programm. So scheint es jetzt auch in Worms zu sein. In der aktuellen Ausgabe des Jazzpodiums wird dort halbseitig mit dem Claim „Back to the Roots“ das 20-jährige Jubiläum des Festivals „Worms: Jazz & Joy“ beworben. Auftreten werden: Nena, The Baseballs, Al die Meola, Marianne Rosenberg, und der „Tatort“-Pathologe Jan Josef Liefers. Allenfalls Al di Meola kann noch eine gewisse Nähe zum Jazz nachgesagt werden, der Rest des Programms ist schlicht und ergreifend Etikettenschwindel. Es sei denn, man versteht das Motto „Jazz & Joy“ als Gegensatzpaar.
Ich habe inzwischen mal die Website des Veranstalters angeklickt: „Das Publikum kann sich auf ein glanzvolles Jubiläum mit Musik von ,Jazz‘ bis ,Joy‘ freuen“, steht da zu lesen. Mit meiner (eigentlich rhetorischen) Frage „Jazz oder Joy?“ lag ich also erschreckend richtig: der Veranstalter sieht das tatsächlich als Gegensatz.
Ich kenne „Worms jazzt” auch noch aus der Zeit, als ich weiter südlich lebte und dort zwei oder drei Male aufgetreten bin. Schade, dass sich die Dinge dort so vom Jazz weg entwickelt haben (obwohl ja immer noch der Vibraphonist Stefan Traub für das Programm mitverantwortlich ist).
Immerhin hat sich in Mannheim einiges getan – sofern ich das aus der Distanz richtig einschätzen kann. Das Mannheimer Enjoy Jazz-Programm spricht mich in der Regel mehr an als das des hiesigen „Deutschen Jazzfestivals“. Vor allem das Faible der hr-Programmgestalter für die Rockmusik-Idole ihrer Jugend nervt mich kolossal.
Lieber Jonas, die Interpretation von „Jazz and Joy“ als „Gegensatzpaar“ (des Wormser Dingsbums-Festivals) ist mal wieder klasse. Ergänzen möchte ich gern eben noch, daß es nach meiner mehrmaligen Erfahrung vor Ort (per Gig wie auch als Zuhörer im Publikum) wohl nur die derzeitigen Veranstalter selbst sein können, die Jazz und „Joy“ als unvereinbare Gegensätze empfinden. Das Festival trug früher den Titel „Worms jazzt“ und war in der Programmgestaltung erkennbar kompetent auf gute (übrigens vorwiegend inländische) Jazz-Acts ausgerichtet, die in den ersten Jahren auch noch eine relativ gelungene Balance aus moderneren und traditionellen Bands präsentierte. Der Publikumszuspruch war prima, eindeutig “joy”-mäßig, sozusagen (obwohl das Ganze ja noch nicht so tituliert war). Ich erinnere mich z. B. an einen sommerabendlichen Marktplatz mit begeisterter Menschenmenge bei einem Konzert der NRW-Landesjugend-Bigband mit Bill Ramsey als Star-Gast und “Frontmann” (nein, nicht mehr in Uniform). In folgenden Jahren hat man immer häufiger traditionelle Bands – obendrein oft höchst mediokre “Bier-Jazz”-Amateurkapellen – und ungefähr im gleichen Zug zunehmend Pop-Acts engagiert. Mit der Änderung des Festival-Titels wurde in äußerst plumper Art und Weise „Enjoy Jazz“ plagiiert (der Titel eines nicht lange vordem gegründeten und sehr erfolgreichen Jazz-Festivals der benachbarten Rhein-Neckar-Region). Das heutige Festival-Konzept der Wormser wirkt borniert und völlig inkompetent; allein das opportunistische Streben nach höherem Umsatz bleibt erkennbar (sozusagen saufbar gemachter Zeitgeist, haha). Mittlerweile ist die Weiterführung des (sowieso reichlich dämlichen) Titels wahrlich ein Etikettenschwindel. Nun ja – Jazz-Interessierte dürften angesichts der Programmauswahl kaum Schwierigkeiten haben, denselben als solchen zu erkennen. Den weniger an Jazz interessierten Mitmenschen wird es vermutlich völlig egal sein – spätestens nach dem zweiten Weizenbier.